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Leseprobe für das Buch Bielers Dilemma
Roman
von Max Leonhard:

Prolog

Niemand konnte immer nur Glück haben, auch er nicht, dessen war er sich bewusst. Sein persönliches Kontingent davon, sofern es so etwas gab, hatte er längst aufgebraucht, seine Tage waren nun gezählt, davon konnte er ausgehen und darüber machte er sich auch keine Illusionen. Die geschenkte Zeit war abgelaufen und er war keineswegs betrübt darüber, nahm sein Schicksal zur Kenntnis, ohne Melancholie und ohne besondere Rührung. Früher, noch vor wenigen Jahren, hatte er dagegen rebelliert, war verzweifelt, manchmal sogar tagelang in tiefe Agonie verfallen, da er die Vorstellung, früh sterben zu müssen, als zutiefst verstörend empfunden hatte. Mittlerweile war der Gedanke an den Tod vertraut und ohne Schrecken, obwohl er nur wenig über fünfzig war, ein Mann in den besten Jahren.
Er saß in der Mitte des leeren Raumes auf einem Stuhl, dem einzigen, der nicht abgedeckt war, Esche hell gebeizt mit gepolsterter Rückenlehne, ohne Armstützen, einem Stuhl aus dem Esszimmer, seinem Esszimmer, schlicht, modern und vertraut. Jemand hatte ihn wohl dorthin geschoben, um die Deckenlampe abzuschrauben und ihn stehenlassen. Der Raum war kahl und ausgeräumt, Fischgrätparkett mit Spiegelung, Ahorn lackiert, ohne Teppich, den hatte er verkauft. Der Raum wirkte größer, als er ihn in Erinnerung hatte. Reste der Einrichtung waren in einer Ecke zusammengestellt, mit Laken überdeckt, funktionslos.
Wenn er sich etwas streckte, sah er im angrenzenden Raum die Sitzgarnitur, ein Sofa und zwei Fauteuils mit Schonbezügen gegen den Staub, dazu den Glastisch, Designerstück aus einem Einrichtungshaus, die restlichen Möbel waren verschwunden, waren auf dem Sperrmüll gelandet, und er empfand eine innere Fremdheit den Dingen gegenüber, die ihn umgaben, seinen Dingen, Objekten seiner Wohnung, sonst geläufig in ihrer Alltäglichkeit, die ihm jetzt seltsam unpersönlich vorkamen, fast als sähe er sie heute zum ersten Mal, und doch waren sie irgendwie vertraut, ein Stück seiner Geschichte, einer Geschichte in Schonbezügen, abgedeckt, konserviert und entartet. Die Bilder hatte er von den Wänden genommen, was mehrere helle Rechtecke hinterließ und den Eindruck von Kahlheit verstärkte. Von seiner Position aus konnte er den geöffneten Kühlschrank in der Küche sehen, der ausgeräumt war, gereinigt und vom Netz genommen, den Müll hatte er entsorgt und es roch ein wenig nach Putzmittel, Ammoniak und Chlor. Alles Leben war vorsorglich entfernt und ausgelöscht, prophylaktisch. Es sollte nichts übrigbleiben von dem, was hier stattgefunden hatte, nichts, das an das Gewesene erinnern konnte, sein Leben mit seiner Lebensgefährtin, die ihn liebte und die er nicht mit den Versatzstücken ihrer gemeinsamen Vergangenheit konfrontieren wollte, wenn sie zurückkam. All sein Leben hatte er in Kisten verpackt und einem Altwarenhändler geschenkt, der sie glücklich abgeholt hatte, und nun war seine Vergangenheit auf dem Flohmarkt, ein ganzes Leben auf dem Trödel. Nur noch einige tote Gegenstände waren übrig, einzelne Möbelstücke, die sich in ein anderes Dasein integrieren ließen, nahtlos, da ohne Erinnerung.
Die Rollläden waren halb geschlossen und schmale Streifen von Sonnenlicht fielen ins Zimmer, zeichneten ihr Muster auf das Parkett, nur eine Jalousie hatte er hochgezogen und das Fenster gab den Blick frei auf die Häuser der Nachbarschaft, die er jahrelang täglich gesehen hatte ohne sie zu bemerken. Nun waren sie nicht mehr nur eine Kulisse zu seinem Leben, sondern standen da, damit er Abschied nehmen konnte, auch von ihnen. Fassaden mit Fenstern, Stadtbild, manche Fenster geöffnet mit wehenden Gardinen vor der Dunkelheit des Raumes dahinter, in dem fremdes Leben stattfand, das er niemals bemerkt hatte, weil er mit seinem eigenen beschäftigt war. In seiner inneren Stille hörte er das stete Lärmen der Stadt, das nun fast körperlich eindrang in das Zimmer, es ganz, bis in alle Ecken ausfüllte und den Raum durchdrang, in dem er saß, hier auf seinem Stuhl, und Abschied nahm ohne zu zögern. Jenseits der Felder, auf der anderen Seite, in einiger Entfernung, sah er winkende Kinder, doch es war ein anderes Fenster, aus dem er das gesehen hatte, in einem anderen Leben, in einer anderen Stadt, aus einer früheren Erinnerung, Bilder aus der Retorte, und er erinnerte sich an seine Gedanken damals, als die Bilder real waren. Es war sonnig, damals wie heute, und es war ein Abschied, ein versöhnlicher Abschied, denn sie winkten und standen dort, in einiger Entfernung, und man konnte sie eigentlich nur an den Bewegungen ihrer Arme erkennen, die Kinder jenseits der Felder, jene Kinder, die seine eigenen waren und die er verlassen hatte, weil sein Leben in Scherben lag und er von vorne beginnen musste, ein Anfang mit dem Ende vor Augen.