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Leseprobe für das Buch Weshalb sollte ich da nichts Böses tun?
Ein Altenheimkrimi
von Susanne Becker, Franz-Bernd Becker:

Prolog

Der Wind bewegt sich kalt über das Land. Er stößt sich an den Tannen eines Waldes, der auf einer Anhöhe thront. Ein Gebäudekomplex schmiegt sich darunter an.
Hier habe ich einst gearbeitet und gewohnt. Meine Gebeine liegen unter der Erde, doch die Witterung und Umwälzungen jahrelanger Erosionen haben sie ein Stück aufgedeckt. Schmutzige, bräunliche Knochen mit ein wenig verrottetem Stoff darum. Mehr nicht.
Meine Gedanken sind seltsam klar. Sollte man bei so einem Anblick nicht total ausrasten, selbst wenn man noch die Hoffnung hat, es könnte sich um einen richtig fiesen Alptraum handeln?
Doch so ist es nicht.
Die Gewissheit habe ich, und es beunruhigt mich in keiner Weise. Ich habe keinen Schimmer, wo mein Geist sich in den letzten sechs Jahren aufgehalten hat, ich weiß aber, warum er erwachte.
Mein Mörder hat wieder zugeschlagen.


Das Erwachen

Montag, 14.12.2020 vormittags
Sein Berufsleben steuert langsam aber sicher auf einen perfiden Höhepunkt zu. Markus Bürger kann sich nicht erinnern, dass es jemals in der Altenpflege so düster ausgesehen hat. Sicher mögen andere das anders sehen. Es hat ein Wandel vom abstoßenden, peinlichen Schmuddeljob zum Traumberuf stattgefunden. Hightech beherrscht die Szene, und die Stellen sind heiß begehrt. Und zwar von Gesundheits- und Seniorenmanagern, die gut ausgebildet, hochqualifiziert, engagiert und loyal daherkommen. Leider konnte das Christliche Stift Maria im Tannenwald bisher kaum davon profitieren, da man sich noch mit den Altenpflegern der ersten Generation herumschlagen muss. Dank des Trägers, das Bistum Köln, und dem damit verknüpften Tarifvertrag der Caritas wurden sie nach 15 Jahren Dienstzugehörigkeit für unkündbar erklärt. Man belohnt sie quasi für ihr despektierliches, faules und untalentiertes Verhalten, indem auf ewig an ihnen festgehalten wird. Und die wenigen Neueinstellungen, bedingt durch eine naturgegebene Fluktuation, entpuppten sich zu seiner Schande auch noch als absolute Griffe ins Klo. Natürlich hätte dieser Schlag von Menschen schon beizeiten an die frische Luft gesetzt werden können, aber auch damit tut sich ein christlich geführtes Haus schwer. Letztendlich ein Grund, warum er selbst noch an seinem Schreibtisch hockt. Als studierter Theologe mit abgeschlossener Priesterausbildung samt Weihespendung durch den Bischof hätte er sich nicht unbedingt in eine Frau verlieben dürfen. Dass er sie dann auch noch geheiratet hat und mit ihr zwei Kinder bekam, wurde ebenfalls nicht besonders frenetisch aufgenommen. Doch er durfte trotzdem seine Stelle als Heimleiter behalten, zwar ohne einen Handschlag oder eine Lippenbewegung auszuführen, die auch nur entfernt an einen seelsorgerischen Akt erinnert, aber immerhin mit allen Befugnissen und Rechten eines Geschäftsführers ausgestattet.
Es ist nur so, dass er sich allmählich komplett überflüssig vorkommt. In der Küche und der Hauswirtschaft arbeiten inzwischen mehr Mitarbeiter als in dem eigentlichen Wertschöpfungsprozess, dem Pflegebereich. Früher kümmerten sich über zwanzig Altenpfleger, wie sie damals genannt wurden, um die Gebrechlichen, jetzt sind gerade mal zehn Personen beschäftigt, umgerechnet auf Vollzeitstellen kommt eine Zahl von 8,25 heraus. Aber dank einer computergesteuerten Überwachung und einer durchdachten Verteilung der Klientel kein Problem. Die Belegungsstruktur des Hauses ergibt sich aus Schwerstkranken in der unteren Etage, noch einigermaßen selbständigen Hochbetagten im ersten und psychisch Auffälligen im obersten, zweiten Stockwerk, die teilweise unter den Folgen ihres exzessiven Drogenkonsums und Lebenswandels leiden. Einzig der mittlere Bereich ist paradoxerweise am aufwendigsten, sollte man doch annehmen, dass die Menschen sich dort noch ein wenig alleine versorgen können. Es verhält sich aber so, dass sie bei der Mobilisation, der Nahrungsaufnahme und der Grundpflege die Hilfe von humanen Existenzen benötigen, wird die Hilfe zu umfangreich, steht ihnen ein Umzug ins vollautomatisierte Erdgeschoss bevor.
Eine Regelung, die ihm Kopfzerbrechen bereitet, denn dort liegen sie wohltemperiert in tonnenschweren Wannen, gefüllt mit Mikroglaskügelchen wie feinster Karibiksand, die von einem kraftvollen Luftstrom aufgewirbelt einen Schwebezustand erzeugen. Sie werden künstlich ernährt, und ihre Ausscheidungen sinken, verdunstet und getrocknet von der Wärme des Behälters, durch die Masse hindurch in ein Auffangraster, das bequem von den Reinigungsmitarbeitern entleert und gesäubert werden kann. Die Körperpflege wird von einer speziellen, extra dafür entwickelten Maschine erledigt, die examinierten Gesundheitsmanager überwachen alles von einer Schaltzentrale aus, die sich im Dienstzimmer in der Mitte des Korridors befindet. Durch überall installierte Kameras und Mikrofone können sie so jederzeit den Kontakt mit den Bewohnern herstellen - und ihnen entgeht absolut nichts.