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Leseprobe für das Buch Und dann passierte es doch!
Ein unfassbares Kindesschicksal
von Peter Smolka:

6. Mutter Gertraud und Peters erster Kindergarten-Tag
Das gelungene Experiment mit Großmutter und Enkel eröffnete Mutter Gertraud bislang ungeahnte Möglichkeiten für die Aufsicht und Betreuung ihres Sohnes.
Was lag da näher, als ihre Mutter Anna danach zu fragen, ob sie sich vielleicht ab und zu ihres Enkels annehmen würde - wohl wissend, dass die Großmutter sich dieser Bitte nicht verschließen würde.
Eine gewisse Handlungsabfolge war nach jedem Mal mehr zur Gewohnheit, ja geradezu zu einem Ritual geworden: Oma Anna holte fortan ihr liebes Peterle jeweils von zu Hause ab, um bei ihr zu übernachten, und das mehrfach in den nächsten Wochen. Und jedes Mal freuten sich die beiden auf die schönen gemeinsamen Stunden. Zeitweise musste man den Eindruck haben, als sei der Kleine öfter bei seiner Großmutter als bei seinen Eltern.
Eines Morgens im April - nun wieder bei den Sadotkas zu Hause - ereignete sich folgendes:
Gegen Viertel vor Acht nahm Mutter Gertraud ihren Sohn an die Hand, um mit ihm einen Weg zu 'marschieren', den sie zusammen noch nie gegangen waren.
Um 07.30 Uhr hatte Gertraud ihren Sohn geweckt. Nach einer eiligen 'Katzenwäsche', einer lieblosen Schnitte Brot und einer schnellen Tasse Caro-Kaffee waren sie auch schon unterwegs. Es dauerte nicht lange, da hatte Peter große Mühe, seine kindlichen Gefühle zu ertragen:
'Wo wollen wir denn überhaupt hin? - So schnell!?', fragte er seine Mutter.
Gertraud antwortete nicht! Stattdessen legte sie eine noch hektischere Betriebsamkeit an den Tag.
Komisch! - So viele Kinder draußen! - Und viele große!?
Läuten da nicht Glocken? - Ja! - Und immer lauter!
Bald nahm Peter die Kirche wahr, vor der sich die großen Kinder versammelten!
Gertraud jedoch steuerte - wie durch einen Magneten angezogen - zügig das kleinere Gebäude hinter der Kirche an, vor dem Peter zahlreiche junge Mütter erblickte, mit ihren Kindern, von denen viele ungefähr so alt waren wie er selbst.
Kurze Zeit später erinnerte er sich nur noch daran, dass eine Frau ihm zuletzt gezeigt hatte, an welchen Haken er seinen Anorak hängen könnte. - Plötzlich durchfuhr es ihn wie ein Blitz!
Ich bin ja plötzlich ganz alleine hier!
Oh je! Wo bin ich nur?
Eine ganze Welt brach über dem Jungen zusammen, und er begann bitterlich zu weinen. Wahrscheinlich wäre er geradezu in Panik geraten, wäre der Kindergärtnerin nicht - fast unbemerkt - eine Kollegin zu Hilfe geeilt, um den kleinen Jungen mit gemeinsamen Kräften zu trösten.
Glücklicherweise war nach wenigen Augenblicken Schwester Theresia zur Stelle - eine ältere, sehr lebenserfahrene, vor allem aber sehr liebevolle Frau, die es bald schaffen konnte, Peter wieder vollkommen zu beruhigen. Nicht ohne Grund wurde Schwester Theresia in der Kirchengemeinde - und bisweilen auch außerhalb der Gemeinde - schon seit Jahren 'der schwarze Engel' genannt!
Die Schwester hatte sich des Jungen so behutsam und liebevoll angenommen, dass ihm unterwegs niemand mehr anmerken konnte, welch schlimme Ängste er durchgestanden hatte. Er erzählte ihr sogar freimütig, wie gern er seine Oma hätte, und dass er viel lieber bei ihr sei als zu Hause bei seiner Mutter. Dort angekommen, traf Schwester Theresia gleich beide Frauen an. Oma Anna war zu ihrer Tochter Gertraud gekommen, um ihr 'Peterle' in die Arme schließen zu können, wenn er seinen ersten Tag im Kindergarten hinter sich haben würde.
Als Gertraud nach dem unverhofften Klingeln die Haustür öffnete, verschlug es ihr - angesichts der Ordensschwester - geradezu die Sprache. Sie möge doch für heute schon jetzt ihren Sohn wieder nach Hause nehmen, meinte die Schwester. Gertraud hörte die Schwester noch sagen, vielleicht liege es ja an den vielen neuen und fremden Eindrücken an diesem ersten Tag in der neuen Umgebung. -
Angesichts der merkwürdigen, ja irgendwie beklemmenden Atmosphäre, die Schwester Theresia in Peters familiärer Umgebung wahrnahm, zog sie es vor, Peters Empfindung, die er ihr gegenüber auf dem Weg nach Hause geäußert hatte, für sich zu behalten.
Sie verabschiedete sich freundlich von Mutter und Großmutter; der Abschied von Peter fiel hingegen besonders liebevoll aus:
'Lieber Peter! Du bist doch ein prima Junge! Wir alle im Kindergarten würden uns sehr freuen, wenn du morgen wieder zu uns kämst! Und am Mittag, so gegen 12.00 Uhr, holt dich doch deine Mama oder deine Oma wieder ab!
Na dann: bis morgen!?'