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Leseprobe für das Buch Und wann bekomme ich neue Eltern?
Notizen eines Pflegevaters
von Heinz-Joachim Petzold:

Vorbemerkung



'Und wann bekomme ich neue Eltern?', fragte die damals achtjährige, in einem Kinderheim lebende Jenny, als sie mitbekam, daß ein anderes Heimkind in eine Pflegefamilie vermittelt wurde.

Der Wunsch Jennys, die sich so sehr nach einer Mutti, nach einem Vati sehnte, sollte in Erfüllung gehen.

Wie, das habe ich in den Jahren 1987/88 aufgeschrieben und mein Buch: 'Und wann bekomme ich neue Eltern? - Notizen eines Pflege-vaters' war recht erfolgreich und erlebte mehrere Auflagen.

Ich schilderte darin die Situation eines Mädchens, leicht geistig behindert - also lernbehindert - im Heim lebend, da ihre leiblichen Eltern nichts mehr von ihr wissen wollten und sie schließlich zur Adoption freigaben.

Das Kind findet schließlich Aufnahme in einer Pflegefamilie, von der das Mädchen später adoptiert wird. Genau die erste Zeit nach der Annahme des Mädchens durch ihre 'neuen' Eltern, mit all den Problemen und manchmal auch Schwierigkeiten, wird dargestellt.

Es ist sicherlich ein nachdenkliches und wohl auch wichtiges Buch, denn es geht im wahrsten Sinne des Wortes um das Glück eines Kindes, das in seinem jungen Leben nicht allzu Erfreuliches erlebt hatte.

Es ist aber auch ein lustiges Buch, denn es geht in dieser wahren Geschichte auch um drei Kinder, die nun irgendwie zusammen zurechtkommen müssen.

Und letztlich geht es auch um die Situation einer DDR-Familie mit all ihren Hoffnungen, Wünschen, Freuden und Sorgen.

Es ist dabei zu bedenken, daß die Geschichte zu DDR-Zeiten geschrieben wurde und demzufolge - damit das Buch überhaupt erscheinen konnte - vom Autor einige Rücksicht auf die Kontrolle beim Kulturministerium der DDR, Hauptverwaltung Verlage, genommen werden mußte. Jedes Manuskript mußte nämlich vor dem Druck vom Verlag dieser Kontrollinstitution vorgelegt werden. Das war aber in diesem Falle nicht allzu schwierig für mich zu bewältigen, denn mir ging es im Buch nicht um eine vordergründige Kritik des 'real existierenden Sozialismus in der DDR' (was immer das auch war), sondern um die Annahme eines Mädchens in eine Familie. Und das geschah, zumindest von der menschlichen Seite her betrachtet, jenseits aller Politik.



Zu meiner großen Freude bringt nun der Manuela Kinzel Verlag das Buch in einer weiteren Auflage heraus.

Ich habe wegen der Ursprünglichkeit und Authentizität den Text so belassen, wie er zu DDR-Zeiten verfaßt wurde, diesen aber, wo es notwendig wurde, mit erklärenden Anmerkungen versehen und damit auf den aktuellen Stand gebracht. Dazu dienen auch die Kapitel: 'Und so ging es mit Jenny weiter' und 'Ein möglicher Weg - die Freigabe zur Adoption', um die das Buch jetzt erweitert wurde.

In dem zuletzt erwähnten Kapitel werden auch die jetzigen Möglichkeiten und gesetzlichen Bestimmungen zur Adoption eines Kindes erläutert.

Heinz- Joachim Petzold Juli 2004





... Am Schulbus



Jeden Morgen begleite ich Jenny zum Schulbus. Wir fahren mit der Straßenbahn bis zum Zentrum, dann sind nur noch wenige Schritte zu laufen. Auf dem Hof der ehemaligen alten Hilfsschule, jetzt Berufshilfsschule, warten die Kinder. Kurz nach sieben Uhr kommt der Bus und fährt die Schüler zur neuen Hilfsschule nach Jena-Ammerbach. Viele Eltern, vor allem Mütter, bringen ihre Kinder ebenfalls zum Bus. Mit der Zeit lernt man sich kennen, redet miteinander. Einige Lehrer und Horterzieher sind auch da, und so ist schon bei diesen Begegnungen ein guter Kontakt zur Schule, zu anderen Eltern beinahe täglich möglich.

Mir fällt eine Frau in mittleren Jahren auf. Jeden Morgen kommt sie mit ihrer Tochter, die in die zweite Klasse geht. Vor sich her schiebt sie einen Kinderwagen mit einem winzigen Baby darin, und an der Hand läuft noch ein etwa dreijähriges Kind. Ist ihre Tochter in den Bus eingestiegen, so rennt die Frau, so schnell sie kann, mit Kinderwagen und dem Kleinkind durch eine kurze Fußgängerpassage, um auf die Hauptstraße zu gelangen.

Ich dachte, die Frau muß zur Arbeit, vorher ihre Kinder in Krippe bzw. Kindergarten bringen, und hat es deshalb sehr eilig. Doch es war etwas anderes! Der Schulbus fährt die Grietgasse hinunter, an einer Kreuzung auf der Hauptstraße einbiegend. Die Mutter lief deshalb so, um auf dieser Hauptstraße den Bus zu erwischen, damit sie noch einmal ihrer Tochter zuwinken konnte.

Das wiederholt sich Tag für Tag. Welch innige Beziehung hat diese Frau zu ihren Kindern!