Seriöser Verlag
Manuela Kinzel Verlag


                Manuela Kinzel Verlag

Informationen zu allen
aktuellen Büchern

Letzte Pressemeldung:  
seriöser Verlag   NWZ 29.8.24
Letzte Pressemeldung:  
seriöser Verlag   NWZ 14.10.24
Letzte Meinung zum Buch:   
seriöser Verlag   Dämmerzustand


Suche:

Neuerscheinungen

Alle Bücher anzeigen

als E-Book erhältlich

Belletristik

Bildband

Biographie

Christliche Literatur

Erfahrungsberichte

Geschichte

Gesundheit

Kinder / Jugendgeschichten

Lyrik

Musik

Mundarten

Region Dessau

Region Göppingen / Hohenstaufen

außergewöhnliche Reiseberichte

Sachbücher

Theater

Tier / Natur

Weihnachten

Sonderangebote

Vergriffene Bücher

Zurück zum Buch

Leseprobe für das Buch Schicksalhafte Erfahrungen
Steinige Wege
von Siegfried Berger:

Vom Schicksal niedergeworfen, von gütigen Menschen aufgeholfen, lernte ich vor allen Dingen eins: Der Mensch und nichts als der Mensch ist letztlich das Maß aller Dinge, unabhängig von Kultur, Religion, Ethnie, Geschlecht oder sozialem Status. Durch die Aufnahme in eine alteingesessene deutsche Familie wurde ich unmittelbar mit anderen, hier gültigen Wertevorstellungen konfrontiert. Gepaart mit der großen Bildungschance stand meiner erfolgreichen Integration nichts mehr im Wege. Dabei sind Eigeninitiative und Fleiß die wichtigsten Schlüsselvoraussetzungen. Fehlen diese, hilft alle Unterstützung nichts.
Trotzdem sehe ich mich als keinen Alltags-, sondern einen Einzelfall. Und nicht zu vergessen, ich lebe in der ausländerfreundlichsten Großstadt Deutschlands, und das trotz des prozentual dritthöchsten Migrantenanteils von 40 %!
Bei allem Wohlwollen zur hiesigen Gesellschaft kann ich mir eine Feststellung nicht verkneifen: Der menschliche Familienzusammenhalt der Migranten ist trotz der nicht zu verschweigenden Nachteile, wie soziale Kontrolle oder mangelhafte individuelle Entfaltung der Persönlichkeit, vielfach doch soweit intakt, dass sich dies in der Fremde als große Stütze erweist. Bei der hiesigen Mehrheitsgesellschaft, der ich mich ebenfalls zugehörig fühle, stelle ich eine gegenläufige Entwicklung fest - die Individualisierung und im Verbund mit der Überalterung die Gefahr der Vereinsamung.
Obwohl der Zuzug größerer Kontingente aus anderen Kulturen bei jedem Volk der Erde auf Ablehnung stößt - ein natürlicher Reflex auf die Angst vor Überfremdung -, multiplizieren sich diese Ängste bei einer Gesellschaft, die vor einer deutlichen Überalterung bei gleichzeitigem Rückgang der Geburtenrate steht. Diese Ablehnung fördert umgekehrt die Nichtintegration der Einwanderer. Ein Teufelskreis, der nur durch staatliche Maßnahmen zu durchbrechen ist. Durch Nichtstun oder den Hinweis: ‚Die müssen sich halt integrieren!’ geschieht nichts, zumal - zumindest in der Vergangenheit - bildungsferne Schichten aus von Armut geprägten Gegenden einen nicht unerheblichen Anteil der Migranten stellten. Die bei der einheimischen Bevölkerung erkennbare Individualisierung, einhergehend mit menschlicher Vereinsamung, kann bei der bereits sichtbaren demographischen Entwicklung Formen annehmen, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wie auch wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und somit für die Zukunft eines Landes gefährlich werden können.
Die hauptsächlich von wirtschaftsnahen Institutionen immer wieder gebetsmühlenhaft erhobene Forderung nach Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte in einer Größenordnung von 200.000 Menschen jährlich löst dieses Problem alleine nicht. Selbst die Erstellung bestimmter Regeln und Modi helfen nur, wenn sich das gesellschaftliche Klima ändert, also die Einsicht der Notwendigkeit von Zuwanderung mehrheitsfähig wird. Dies ist aber ein langwieriger Prozess, der nicht verordnet werden kann. Inhaltsleere, floskelhafte Aussagen und Aufforderungen sind kontraproduktiv und helfen allenfalls den Populisten. Ein solches Thema muss von der Politik und nicht der Wirtschaft beflügelt und der Gesellschaft als letzte Alternative nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten vermittelt werden. Dabei müssen vor allen Dingen die berechtigten Ängste der Bevölkerung ernst genommen sowie mit tragfähigen Argumenten, die es übrigens zuhauf gibt, gearbeitet werden. Eine geistige Kärrnerarbeit sondergleichen.'
'Wem erzählen Sie das. Ich konnte es in der Zeit des großen Flüchtlingszustroms bei meinem Vater und teilweise auch selbst erleben, welch psychisch aufreibende Arbeit dahintersteckt. Und wenn ich dann noch an die emotionsgeladenen Bürgerversammlungen denke. Glauben Sie wirklich, unsere jungen, erfolgsverwöhnten Politiker haben die dazu erforderliche Geduld sowie den sprichwörtlich langen Atem? Da bin ich skeptisch. Die wollen durchregieren.'
'Dann wird’s aber nichts. Dieses gesellschaftspolitisch wichtige Thema jetzt zu diskutieren, erlaubt die Zeit leider nicht mehr.'
'Doch notwendig wäre ein solcher Meinungsaustausch meines Erachtens schon. Dazu sollte man allerdings einen etwas größeren Gesprächskreis bilden. Nachdem wir beide sehr an diesem Thema interessiert sind, lässt sich dies sicher in absehbarer Zeit ermöglichen. Bleiben wir einfach in Kontakt miteinander.'
'Aber sicher, das würde mich sehr freuen', antwortet er prompt. 'Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen grundsätzlichen und ganz wesentlichen Erfolgsfaktor in der Integrationsdebatte hinweisen: Die hiesigen Werte und Normen sind für alle verbindlich und nicht verhandelbar!

Wie in einer Flugblattaktion angekündigt, erschienen gegen 8:30 Uhr ca. 60-70 Mitglieder der Punkerszene, um ihre Solidarität mit den diesen Umzug verweigernden Familien zu bekunden. Zeitgleich ging eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei drei Häuserblocks entfernt getarnt in Stellung. Davon wussten nur mein Vater und zwei weitere vor Ort anwesende Mitarbeiter. Was jedoch erst am Abend bekannt wurde, war der Umstand, dass das DRK vorsorglich zwei Rettungswagen in der Nähe bereitstellte, da mit gewalttätigen Auseinandersetzungen an der viel befahrenen Straße gerechnet wurde. Einer Straße, die heute just an dieser Stelle eines der höchsten Feinstaubaufkommen Deutschlands aufweist. Was nun?
Die Fronten waren klar und mein Vater hatte die Anweisung, hart zu bleiben, keine Kompromisse einzugehen. Eine Straßenschlacht einen Tag vor Heiligabend? Unmöglich! Deshalb setzte er sich kurzerhand über diese Anweisung hinweg und versuchte mit den sich weigernden Familien einen Kompromiss auszuloten. Diese waren nämlich jetzt bereit, in eine gleichwertige Wohnung umzuziehen. Nur woher nehmen? Durch einen seiner beiden Mitarbeiter erfuhr er, dass ca. zehn Fahrminuten entfernt eine Wohnung für Obdachlose hergerichtet wurde, aber noch nicht bezogen sei. Die drei Familien waren einverstanden, nicht aber die Vorgesetzten im Rathaus, die weiterhin auf Kompromisslosigkeit bestanden. In der Gewissheit, in solchen Situationen das Verständnis und die Rückendeckung des seinerzeitigen Oberbürgermeisters, des allseits bekannten Herrn Rommel zu besitzen, akquirierte mein Vater kurzerhand diese Wohnung. Die drei Familien zogen dort ein und die aufmarschierten Punker halfen beim Packen. So waren alle zufrieden; neben meinem Vater am meisten die Polizei, die um eine gewalttätige Auseinandersetzung herumkam.
In den umfangreichen Berichten der Stuttgarter Presse ist an einer Stelle unter der Überschrift ‚Asylheim ohne Probleme geräumt’, der lapidare Satz zu lesen: ‚Auch für die 14 Mitglieder von drei ... Familien, die Widerstand gegen die Räumung angekündigt hatten, konnte Siegfried Berger, Abteilungsleiter im Sozialamt, unbürokratisch und kurzfristig eine nahe gelegene große Wohnung besorgen.’71
... sowie unbürokratisch und kurzfristig sich eine Abmahnung einhandeln, wenn sich nicht der oberste Dienstvorgesetzte standhaft vor seinen Mitarbeiter stellt', vervollständigt die Richterin meinen Satz.
'Da haben Sie wahrlich Recht, Frau Müller', mischt Christian sich ein. 'Bei den heute oftmals risikoscheuen Vorgesetzten, die sich vor lauter Haftungsangst beinahe in die Hose machen, wäre dies undenkbar. Die Verantwortung wird nach unten delegiert, eventueller Ruhm oben als Dividende eingestrichen. Ist doch eine gerechte Aufteilung - jeder hat was davon.'
'Aber, aber, welch drastische Feststellung', versucht unser alter Herr die hochkochende Stimmung wieder etwas zu dämpfen. 'Es gibt auch heute noch Vorgesetzte, die sich standhaft vor ihre Mitarbeiter stellen, allerdings werden es weniger.'
'In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit und der allmählich nachlassenden Aufnahmefähigkeit will ich nur noch zwei Begebenheiten ansprechen:
Wie war die Resonanz, wenn die Stadt in ihrer Not die Öffentlichkeit um Unterstützung bei der Unterkunftsbeschaffung bitten musste? Katastrophal! Solchen Aufrufen folgende telefonische Reaktionen waren vielfach unterste Schublade und in erster Linie Frustableiter. Die üblichen Drohungen wie: ‚Ihr Verbrecher unterstützt dieses Pack auch noch! - Alle rausschmeißen mitsamt euch! - Wir legen euch um! - Der Adolf hätte mit euch und diesen Zigeunern kurzen Prozess gemacht!’, bis hin zu dem Vorschlag ‚die Müllverbrennungsanlage’ als geeignetes Objekt anzubieten, waren das unappetitliche Ergebnis solcher Aktionen. Nachdem dieses den Mitarbeitern nicht zugemutet werden konnte, wurden solche Aufrufe nach kurzer Zeit eingestellt.
Wenn Sie jetzt den Eindruck gewinnen, das sei bei solchen Themen die Außensicht, muss ich Sie eines Besseren belehren. Auch innerhalb der Verwaltung hatte die mit dieser Aufgabe betraute Abteilung einen niederen Stellenwert, wurde mit ihrem Klientel auf eine Stufe gestellt, den Rang der ‚Aussätzigen’. Äußerungen wie: ‚Wenn die kommen und von uns etwas wollen, nehmen wir volle Deckung hinter unseren Schreibtischen’, waren die Folge.
Der Höhepunkt war jedoch, als ein Teil der Abteilung, welcher mit reinen Verwaltungsarbeiten betraut war, mit den Flüchtlingen also kaum in persönlichen Kontakt kam, in ein großes Verwaltungsgebäude umziehen musste. Daraufhin beantragten die dort bereits tätigen Mitarbeiter eines anderen städtischen Amtes separate Toiletten, da sie mit ‚denen von Asyl’ nicht das gleiche WC benützen wollten. Begründung: Diese brächten doch Krankheiten ihrer Klientel mit. Dem Antrag wurde natürlich nicht entsprochen. Aber es war wieder einmal die Erfahrung der etwas anderen Art, sich zusammen mit seinen Klienten in der Schublade der Vorurteile wiederzufinden. So, das war jetzt ein kleiner Auszug aus dem seinerzeitigen Verwaltungsalltag.'
Nach einem Moment der Stille erhebt als Erster unser alter Herr seine Stimme:
'Lassen Sie mich auf einen Umstand zu sprechen kommen, der mich mächtig aufwühlt und tief betrübt. Frau Berger, bei Ihrer Schilderung der Telefonaktion zur Beschaffung von Flüchtlingsunterkünften erwähnten Sie beiläufig auch ausgesprochene Todesdrohungen. Ein unsäglicher Vorgang, der heutzutage immer mehr zur Gewohnheit wird. Das zeigt, welch moralischen Tiefstand diese Gesellschaft in Teilen schon erreicht hat. Andersdenkende oder Missliebige mit solchen Methoden einzuschüchtern, anstatt sich mit ihnen in kultivierter Form argumentativ auseinanderzusetzen, zeugt von primitivem Niveau, eine leider immer häufiger vorkommende Anleihe an Deutschlands dunkelstes Kapitel.