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Die rätselhafte Frau sprach von Dingen, die Jahrzehnte schon zurückliegen, so als wäre sie selbst dabei gewesen. Unerklärlich, woher sie so genau wissen konnte was damals, im September 1212, geschah. Wir waren über die Alpen gezogen und standen vor Konstanz. Und der Welfenkaiser Otto IV. lagerte bereits am anderen Ufer des Bodensees. Wie wäre wohl alles gekommen, sinnt er darüber nach‚ wenn wir nur wenige Stunden später vor den fest verschlossenen Toren dieser Stadt gestanden hätten. Die Welt wäre gewiss eine andere. Doch wir hatten die päpstliche Bulle über die Exkommunikation Ottos dabei, und gerade noch rechtzeitig konnte ich sie den Stadtvätern unter ihre Nasen halten. So öffneten sich für Friedrich die Tore, für Otto aber blieben sie verschlossen. Er kam zu spät. Berard seufzt. Die dramatischen Ereignisse von damals waren in ihm verschüttet gewesen. Jetzt denkt er zurück an den glücklichen Anfang im kalten und von dichten Wäldern überwucherten Deutschland und er denkt an die hoffnungsvollen ersten Jahre, als die Menschen dort den Knaben Friedrich als ihren legitimen König feierten. Denn wie eine Feuersbrunst erfasste die frohe Kunde vom plötzlichen Erscheinen des kindlichen Staufers das ganze Land; war er doch der Enkel ihres einstigen Kaisers Friedrich I., den die Italiener wegen seines roten Bartes ‚Barbarossa’ genannt hatten. Seither ist viel geschehen. Mit Kampf, Sieg und Erfolg, mit der Neuordnung des Reiches, mit Gesetzgebung, Kreuzzug und blutigen Schlachten, mit Jagd, Wissenschaft, Dichtkunst und mit rauschenden Festen waren die Jahrzehnte angefüllt gewesen, aber immer wieder auch mit herben Rückschlägen, mit Niederlagen und mit unüberwindlichen Konflikten. Berard schließt die Augen. Noch einmal lässt er die alten Bilder vorüberziehen. Und er sieht ein großes Heer von Menschen, die den holden Knaben Friedrich auf seinem wunderbaren Zug durch das obere Rheintal begleiten. Das Kind von Apulien, das Chint von Pulle, oder auch der Puer Apuliae, so nannte das deutsche Volk den jungen Stauferkönig damals. Und er, hoch zu Ross und vom lieblich süßen Hauch des fernen Südens umweht, mit bronzefarbenem Antlitz, großen blauen Augen und rotblonden Locken, strahlend schön und kindlich anmutig, erschien ihnen wie der Erlöser selbst. Bald hatte er nicht nur sein deutsches Erbland zurückerobert, sondern auch das leidgeprüfte und sehnsuchtsvolle Herz dieses Volkes. Und Berard war als päpstlicher Legat fast immer mit dabei gewesen. Doch er hatte diese längst vergangenen Zeiten, unbewusst vielleicht, mit dem Mantel des Vergessens bedeckt. Gestern aber, im Andachtsraum der winzigen Kapelle, hatte die geheimnisvolle Frau diesen Mantel mit ihren ungeheuerlichen Worten einfach weggezogen und das Verschüttete in ihm bloßgelegt: mit den Erinnerungen an damals, als auch er jung war und sich voller Tatendrang der Sache des ganz erstaunlichen und hoffnungsvollen Staufers verschrieben hatte. Und hier oben auf Castel Fiorentino, auf dem extra für ihn hergerichteten Lager, drängen sich die alten, längst verschüttet geglaubten Bilder wieder an die Oberfläche. Er sieht sich beim Laterankonzil im Jahr 1215 in Rom. Als Primas der sizilischen Kirche ist er dort gewesen. Und bereitwillig den Wunsch des jungen Friedrich erfüllend, übertrug ihm der nachgiebige Papst Innozenz III. danach das Bistum der Hauptstadt Palermo. Wie viele Male er später als Vermittler und Friedensstifter im Auftrag Friedrichs zwischen ihm und der Kurie in Rom hin und her gereist ist, kann er nicht mehr aufzählen. Auch gemeinsam mit dem Deutschordensmeister Herrmann von Salza, der bis zu seinem Tode ein treuer Mitstreiter, ein ganz außergewöhnlicher Diplomat und enger Vertrauter war, hatte er sich immer wieder für die staufische Sache eingesetzt. Und er genoss sein langes Leben hindurch sehr hohes Ansehen bei der Römischen Kurie, aber auch bei Friedrich, dessen offiziell vom Papst bestellter Beichtvater er ist. Doch nicht durch die Ausübung dieses hohen christlichen Amtes, sondern vielmehr aus persönlicher Sympathie und jahrzehntelanger Treue zur staufischen Sache, fühlt er sich eng mit ihm verbunden. Berard verschränkt seine Arme hinter dem Kopf. Die Erinnerung an das Alte und Verklärte besänftigt sein Gemüt und beruhigt sein Herz. Eigentlich könnte er zufrieden und glücklich die Jahrzehnte an sich vorüberziehen lassen. Doch sein langes Leben, das vollgepackt war mit rastloser Tätigkeit, mit geistigen und körperlichen Herausforderungen und so manchen Gefahren auch, hier im geisterhaft flackernden roten Licht auf seinem extra für ihn hergerichteten Lager in der Kemenate, wird es ihm trotz allem mit einem Male leid. Anstelle des sterbenden Kaisers würde lieber er selbst dort oben liegen und seinem barmherzigen Gott friedlich entgegenschlummern. Das aber kann nicht dessen Wille und Wunsch sein, denn Gott hat ihm ein Lebensjahrzehnt nach dem anderen geschenkt, ohne dass er sich erinnern kann, jemals von einer schweren Krankheit hingestreckt worden zu sein. Nur wenige kennt er, die ein so hohes Alter wie das seine erreicht haben. Die meisten sterben sehr viel früher. Einige werden von schrecklichen Seuchen dahingerafft, andere wiederum ereilt, noch jung und kindlich fast, der blutige Tod auf dem Schlachtfeld. Und wieder andere schlagen sich in unsinnigen Streitereien gegenseitig ihre Köpfe ein. Das Leben des Einzelnen in der großen Menge bedeutet nichts. Man wird in diese Welt hineingepresst und allein Gott im Himmel entscheidet, wann man sie wieder zu verlassen hat. In der Rückschau durch seine lange Lebenszeit erkennt Berard aber auch, dass sie im Dienste der kirchlichen und auch der weltlichen Macht trotz allem sehr freudeerfüllt und auch sehr schön war. Warum aber, fragt er sich nun schweren Herzens, verteilt der barmherzige Gott seine großen Gaben so ungerecht? Warum ist es sein Wille und Wunsch, dass Fridericus gerade jetzt, im Endkampf mit dem Papst, stirbt, wo doch alles darauf hindeutet, dass es endlich zum Frieden zwischen ihnen kommen muss? Denn die ewige und starrköpfige Haltung des höchsten Priesters ist bei den Fürsten der Welt auf großes Missfallen gestoßen. Und das hat Innozenz IV. gewaltig in die Enge getrieben, denn ihm allein wird die Schuld am Scheitern des VI. Kreuzzugs angelastet. Aber nicht nur die Fürsten, sondern die Kreuzfahrer selbst, und sogar die Templer sind davon überzeugt, dass nur der römisch-deutsche Kaiser Friedrich II. ihre aussichtslose, verzweifelte Lage im Heiligen Land noch retten könnte. Doch Papst Innozenz IV. ist in seinem Hass verbohrt. Er verhängte stattdessen ein strenges Verbot, dass es dem Kaiser unmöglich machte, aktiv in das Geschehen dort einzugreifen. Und die von den Fürsten dringend geforderte Absolution Friedrichs lehnt Innozenz in blinder Hartnäckigkeit einfach ab. Er wird den römisch-deutschen Kaiser Friedrich II., das Ungeheuer, die Geißel der Völker, den Verderber der Christenheit, nicht wieder in die Gemeinschaft der Heiligen Römischen Kirche aufnehmen. Niemals mehr. Der Morgen des 12. Dezember dämmert bereits herauf, da ist der Erzbischof Berard von Palermo noch immer tief in seinen nächtlichen Betrachtungen versunken. Erst als zaghaft der eiserne Klopfring an der Tür zur Kemenate betätigt wird und Haidar, sein persönlicher Diener, zu ihm hineinlugt, reißt er sich davon los. 'Komm’ nur herein!', ruft er ihm entgegen. 'Eminenz', flüstert Haidar, als er sich lautlos durch den Türspalt schiebt, 'es ist sehr früh am Morgen. Ich wollte nachsehen, ob du vielleicht schon erwacht bist.' 'Seit Stunden schon bin ich wach', sagt Berard und bleibt lang ausgestreckt liegen, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. 'Der Schlaf wollte die ganze Nacht nicht zu mir kommen', resigniert er müde. Als Haidar ein paar Kerzen entzündet hat und leise beginnt in der Kemenate herumzuwirtschaften, fragt der Erzbischof ihn: 'Wie geht es dem Kaiser? Hast du etwas erfahren?', ohne dabei seinen Blick von der Decke zu nehmen. 'Ja, Eminenz. So viel ich weiß, hat er die Nacht gut überstanden. Seit die Frau da ist, geht es dem erhabenen Kaiser auch schon viel besser.' Diese Worte versetzen dem Herzen des Erzbischofs Nadelstiche. Vor Schmerz verzieht er sein von tausend Falten zerfurchtes Gesicht. 'Die Frau, sagst du? Was macht sie denn, dass es ihm nun viel besser geht?', fragt er mit erstickter Stimme. |