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Die Pflegequalität – eine Momentaufnahme 7. Corona und seine Folgen 7.1. Die Situation in den Pflegeeinrichtungen 7.2. Pflegekräfte und ihre persönliche Schutzausrüstung 7.3. Pflegekräfte, die Gesellschaft und die Maßnahmen der Politik 8. Ein Blick nach Dänemark – ein Gesundheitssystem der Zukunft? 9. MDK-Bewertungen, die Realität in Pflegeeinrichtungen und eine neue Idee 10. Ein Plädoyer für die Pflege – sinnvoll und lebensnotwendig 11. Nachwort 12. Quellen Vorwort Seit vielen Jahren arbeite ich im deutschen Gesundheitssystem, bin ein Teil davon und beschäftige mich auf vielfache Weise damit. Ich bekomme täglich durch unterschiedliche Schilderungen, Erlebnisse und Vorkommnisse eine sehr gute Weitsicht darauf, was einmal eines der fortschrittlichsten und erfolgreichsten Systeme war. Aber nun ist es schon lange krank und an seinem Zenit angekommen. Es muss etwas völlig Neues her und wir brauchen den Mut, dies auch anzusprechen. Seit Jahren verfolgt die Politik, egal welcher Partei, einen Weg, der nur darauf ausgerichtet ist, mit kleinen Reformen die aktuell dringendsten Probleme zu verschieben und damit die nächste Wahl zu sichern. Auf eine wirkliche Lösung wird kein Wert gelegt. Unser Gesundheitssystem ist von Lobbyismus, privaten Trägern und eigenen Machtspielchen zersetzt. Das Wohl der unzähligen Patienten in den Krankenhäusern und der immer älteren und multimorbiden Bewohner in den Pflegeeinrichtungen spielt schon lange keine Rolle mehr. Letztendlich zählen nur noch die Rendite und der Gewinn. Aber damit muss nun endlich Schluss sein. Wagen wir den Neuanfang! Dieser Neustart muss vollkommen unpopulär und einmal nicht auf das Wohl der einzelnen Parteien, Politiker und eigenen Befindlichkeiten erarbeitet werden. Wagen wir den Schritt hin zur Wahrheit und sprechen wir aus, was wir alle eigentlich seit Jahrzehnten wissen, aber verdrängen auf die nächste Generation: Ein gutes Gesundheitssystem mit einer medizinischen und pflegerischen Behandlung, die für alle in gleichem Maße offen steht und das Bestmögliche erreichen will, wird es mit diesen Rahmenbedingungen nicht mehr geben. Qualität kostet Geld. Strukturen müssen überdacht, ersetzt und erneuert werden. Nicht irgendwann, sondern jetzt! Nieder-Olm im Dezember 2021 Stefan Heyde Aus meinem pflegerischen Alltag: Wie oft stand ich vor der Wahl: Familie oder Beruf. Durch die ständige Verfügbarkeit und das Einspringen kam mein Privatleben an seine Grenzen. Ich habe unzählige Feiertage und Wochenenden gearbeitet, weil niemand anderes verfügbar war. 1. Der Pflegenotstand Überall beherrscht ein Schlagwort die Medien: „Pflegenotstand“. Oftmals stolpern wir über ihn in Zeitungen oder im TV, wenn über schlechte Zustände oder Missstände in Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern berichtet wird. Dann ist es eine Momentaufnahme in der Bevölkerung, die zu einem hohen Betroffenheitsfaktor führt, denn niemand möchte an seinem Lebensabend so enden und solche Zustände an seinem eigenen Leib erfahren. Der Pflegenotstand ist keine Erfindung der heutigen Zeit. Dieses politische und berufspolitische Schlagwort wurde bereits 1960 erstmals erwähnt, als es damals durch den Ausbau der Krankenhausstruktur zu einem Mangel an Pflegekräften kam und dadurch verstärkt ausländische Pflegepersonal eingesetzt und rekrutiert wurden. Was wir heute, also alles nach den 1990er und 2000er Jahren, unter dem Pflegenotstand verstehen, hat seine Ursache in unserem finanziell unstrukturierten Gesundheitssystem. Die Finanzierung und Abrechnung hängt meist mit der Pflegeversicherung zusammen und an deren Tropf hängen die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Eine sich immer weiter verdichtende Arbeitsweise in Kombination mit lukrativen Operationen im Krankenhaus und sich lohnende Pflegegrade in den Pflegeeinrichtungen führen zu immer mehr Stress beim Pflegepersonal und zu immer mehr Patienten oder Bewohnern, die von einer einzigen Pflegekraft betreut werden müssen. Die Pflegekräfte leiden unter den schlechten Arbeitsbedingungen, der schlechten Bezahlung als auch der Unzufriedenheit mit sich selbst, denn sie können nicht mehr das tun, wofür sie eigentlich ausgebildet wurden, nämlich pflegen. Dazu kommt meist die Unvereinbarkeit des Schichtdienstes mit Familie und Freunden und das Signal aus der Politik: „Pflegen kann jeder.“ Es wurden schon unzählige Versuche unternommen, um Menschen aus allen Sparten in die Pflege zu bekommen. Alle diese Versuche sind bisher meist kläglich gescheitert, haben aber weiter dazu beigetragen, dass die Pflege an Attraktivität verloren hat. All dies führt dazu, dass es immer weniger Nachwuchs in der Pflege gibt. Die Unzufriedenheit steigt und es kommt seit Jahren zu einer vermehrten Reduktion von Vollzeit- in Teilzeitstellen. Aktuell wählen immer mehr Pflegekräfte den „Pflexit“, sie steigen also komplett aus dem Beruf aus und orientieren sich beruflich neu. Die Politiker und die Verantwortlichen, aber auch jeder Einzelne in der Bevölkerung hat bis heute noch nicht die Brisanz und Sprengkraft dieser Entwicklung verstanden. Die Situation der Pflege ist eines der sozialen Hauptthemen des 21. Jahrhunderts. Denn hierbei geht es um sehr viel mehr. Es geht darum, wie die Gesellschaft in Zukunft mit ihrer alten und kranken Bevölkerung umgehen will. 1.1. Wer und was ist „Pflege“? Viele behaupten, dass die Thematik rund um Pflege und Pflegenotstand sie nichts angeht. Es gibt keine Berührungspunkte. Aber ist dem wirklich so? Bevor man vorschnell urteilt, sollte man einmal überlegen: Wenn man ein Krankenhaus aufsucht und dort Hilfe benötigt, wer begleitet einen von Beginn an in der Notaufnahme als auch später bei einem eventuellen stationären Aufenthalt? Es sind Pflegekräfte! Sie unterstützen, helfen und fördern die Genesung. Wenn man daheim Unterstützung braucht oder einen kranken Angehörigen hat, kommt ein ambulanter Dienst nach Hause. Es sind Pflegekräfte!... 2. Die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten Wenn wir uns die Entwicklung genauer betrachten, so stellen wir fest, dass immer mehr Menschen in unserem Gesundheitssystem arbeiten: aktuell sind es laut Destatis rund 5,7 Millionen Menschen, 75,6% der Beschäftigten sind Frauen. Die Anzahl der Teilzeitstellen nimmt seit Jahren kontinuierlich zu, so liegt sie 2020 in den Pflegeeinrichtungen bei 55% und in den Krankenhäusern bei 42%. Lenken wir aber den Blick auf die aktuelle Altersstruktur des Gesundheitspersonals, so sehen wir, dass 12% 60 Jahre und älter und 28% 50 bis 60 Jahre alt sind. Darin sind die geburtenstarken Jahrgänge abgebildet. Diese Jahrgänge werden aufgrund ihres Alters dem Gesundheitssystem nicht mehr lange zur Verfügung stehen. Nach aktuellen Momentaufnahmen werden alleine bis zum Jahr 2030 rund 307.000 Pflegekräfte fehlen und diese Lücke kann sich noch bis auf 500.000 vergrößern. Im gleichen Atemzug wird die Gesellschaft immer älter und die Zahl der Pflegebedürftigen wird bis zum Jahr 2060 von aktuell 3,4 Millionen auf 4,53 Millionen ansteigen: Eine Hiobsbotschaft für alle Seiten. Letztendlich hat man immer mehr „hochbetagte ältere, multimorbide Menschen“ und immer weniger Pflegekräfte, die für die Pflege dieser zur Verfügung stehen. Im gleichen Atemzug erleben wir es täglich, dass eine Vielzahl an großen privaten Trägerketten und Hedgefonds, mit Sitz im Ausland, die Gewinne auf dem Rücken der Pflegekräfte erwirtschaften… 4.1. Die „Uhr der Schande“ – der Funke Das Ereignis, welches den Ausschlag gab, um aktiv zu werden, war die tragische Geschichte der „Uhr der Schande“. Der Vorfall ereignete sich in einer Pflegeeinrichtung in Rheinland-Pfalz. Die genannte Uhr wurde mir damals von der mittlerweile ebenfalls verstorbenen Ehefrau eines Bewohners nach dessen Tod überreicht. Sie war der Funke, den es bei mir am Schluss noch brauchte, um mich zu überzeugen, meine Stimme zu erheben und diese Zustände in den Pflegeberufen nicht mehr einfach hinzunehmen, sondern dagegen anzukämpfen. Mit allen Konsequenzen bis zum heutigen Tag. Ich werde nie die Erzählung der Ehefrau vergessen. Ihr Ehemann war 76 Jahre und trotz seiner Erkrankung an Morbus Parkinson noch sehr fit und eigenständig. Mit den Jahren kamen aber weitere Einschränkungen aufgrund dieser Erkrankung hinzu und er musste immer mehr Hilfe in Anspruch nehmen. Sie erzählte mir, wie sie ihren Mann sehr lange, fast 10 Jahre, daheim mit Unterstützung eines ambulanten Dienstes versorgt hatte. Dann reichte ihre Kraft nicht mehr und sie musste ihn schweren Herzens in ein Pflegeheim geben. Vor meinen Augen sah ich den als humor- und verständnisvoll beschriebenen Bewohner, der sich schnell in dieses neue Leben einfand. Er bemerkte es genau, wenn andere Bewohner mehr Hilfe brauchten als er. Er erkannte auch die Situation der Pflegekräfte vor Ort: ihren Stress, die Hektik und das wenige Personal. Wenn es möglich war, half er mit und versuchte zu entlasten. Dann gab es jedoch diese eine Nacht, in der sich alles auf tragische und traurige Weise veränderte. Der Ehemann wollte kurz vor Mitternacht auf die Toilette gehen und meldete sich „per Ruf“ bei der Pflegekraft, um Unterstützung zu bekommen. Der Weg war für ihn alleine zu gefährlich, denn er schwankte und fühlte sich oft unsicher auf den Beinen. Die gerufene Pflegekraft war in dieser Nacht jedoch mit der Situation auf dem Wohnbereich überfordert. Trotzdem betrat sie kurz das Zimmer und bat ihn um ein wenig Geduld. In „5 Minuten“ wollte sie wieder da sein. Er wartete vergeblich auf die Pflegekraft, aber sie kam nicht wieder. Er musste aber und machte sich auf den Weg zur Toilette. Oft hatte er es auch schon so gemacht und es hatte bislang auch immer geklappt. Er lief schwankend zum Bad und suchte nach dem Lichtschalter. Dabei passierte es! Er verlor das Gleichgewicht und stürzte. Mühevoll versuchte er, sich irgendwo festzuhalten, schrammte dabei aber mit seinem Kopf am Heizkörper vorbei und knallte auf das Waschbecken. Danach fiel er blutend und bewusstlos zu Boden. Als die Pflegekraft es gegen 0:15 Uhr endlich schafft, das Zimmer des Mannes aufzusuchen, um ihn zur Toilette zu begleiten, findet sie ihn im Bad in einer großen Blutlache mit klaffender Platzwunde und ohne Puls vor. Sie fängt sofort mit der Reanimation an, ruft den Notarzt und kämpft um sein Leben. Als der Rettungsdienst eintrifft, hatte der Bewohner einen sehr flachen Puls, war aber ohne Bewusstsein. Der Rettungsdienst nahm ihn natürlich sofort mit, um ihn ins nächstgelegene Krankenhaus zu bringen. Er verstarb in dieser Nacht gegen 03:00 Uhr an einer schweren Hirnblutung. Er starb, weil er der Pflegekraft, welche in der Nacht mit einem Kollegen zu zweit für über 110 Bewohner zuständig war, helfen wollte. Als mir die Ehefrau diese Uhr schenkte, sagte sie zu mir, dass sie beim Sturz zerstört wurde und mit zersplittertem Glas stehen blieb. Die Uhrzeit zeigte 23:58 Uhr. Ebenso konnte ich auch mit der Nachtwache über ihre Sichtweise dieses Vorfalls lange und ausführlich sprechen. Und genau diese Geschichte hinter der zerbrochenen Uhr hat mich letztendlich sehr traurig und nachdenklich gestimmt. Diese Uhr wurde für mich zu einem Sinnbild, wie schnell jeder von uns ein Teil dieses kranken Gesundheitssystems werden kann und sie hat mich viele Jahre begleitet. Sie wurde zu einem Symbol und sie wurde für mich zur „Uhr der Schande“. |