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Leseprobe für das Buch Morbus Sockenschuss
Aus dem Berufsalltag einer psychiatrischen Krankenschwester
von Karin Knick:

Eine Floskel, die ich liebe. Freundlich und bestimmt. Dann verbinde ich dieses Telefonat mit Dr. Oetker. Und danach wende ich mich wieder dem neuen Patienten zu. Der ist von kräftiger Statur, deutlich größer als ich (was auch nicht allzu schwierig ist!), hat dunkle, etwas fettige Haare und braune Augen. Er sieht wirklich müde und erschöpft aus, trägt ein Krankenhaus-Nachtleibchen und darüber einen verschlissenen Bademantel, wahrscheinlich aus dem ‚Fundus‘. So ein Fundus ist eine Erfindung, die es wahrscheinlich in den meisten psychiatrischen Krankenhäusern gibt. Übriggebliebene und aussortierte Kleidungsstücke werden auf den Stationen gelagert und an bedürftige Patienten ausgegeben. Zum Beispiel an Patienten, die ‚von der Straße‘ kommen und nichts dabei haben oder aus einen Krankenhaus, wo sie nur im Schlafleibchen bekleidet weitergeleitet werden. So wie Herr Boschem. Der Bademantel ist in der Tat einer aus unserer ‚Kollektion‘, vor ihm haben ihn bestimmt schon vier, fünf andere Patienten getragen, an die ich mich zum Teil noch recht lebhaft erinnern kann (natürlich werden die Kleidungsstücke gut gewaschen). Ich reiche dem Patienten die Hand:
'Hallo, Herr Boschem. Ich stelle mich erst mal vor: Mein Name ist Knick, ich bin psychiatrische Fachkrankenschwester. Was kann ich denn für Sie tun?'
Herr Boschem lächelt überraschend freundlich. Jedenfalls überraschend freundlich für einen verunglückten und gerade erst geretteten Selbstmörder.
'Hallo. Hätten Sie eventuell mal eine Zahnbürste und einen Kamm dabei? Und etwas Seife, die im Spender im Bad ist nämlich alle.'
'Natürlich, kein Problem. Ich bringe es Ihnen aufs Zimmer.'
Das mache ich dann auch. Der Patient schlurft recht mühsam in sein Zimmer zurück. Ich hole ihm Kamm und Zahnbürste aus der Vorratskammer und eine neue Flasche Seife. Handtücher und hat er bereits automatisch auf dem Bett. Zurück im Zimmer sitzt er etwas steif auf der Bettkante. So als sei er ein ‚Hausherr‘ und erwarte mich zum Hausbesuch. Die Hände hat er gefaltet und er guckt ein wenig traurig, lächelt aber dabei irgendwie wissend. Durch seinen drei-Tage-Bart wirkt er leicht ungepflegt. Das habe ich schon bemerkt. Aber mit Absicht habe ich ihm keinen Rasierer mitgebracht. Denn als ‚nicht distanzierter Suizidaler‘ müsste ich bei seiner Rasur dabei sein. Er soll sich ja nicht mit unserem Rasierer die Pulsadern aufschneiden! Bei seiner Rasur dabei zu sein habe ich aber im Moment keine Zeit. Immerhin ist unsere Praktikantin alleine da vorne im Dienstzimmer. Sie kann das sicher händeln, Telefon und Tür bedienen und Anfragen auf etwas später vertrösten, aber ich will ihre Geduld und die der Patienten nicht überstrapazieren.
'Hier ist die Zahnbürste und der Kamm. Die Seife hier geht übrigens auch als Shampoo für die Haare. Wie geht’s Ihnen denn so? Sie sind noch ein bisschen wackelig auf den Beinen.'
Damit ist meine Frage ganz offen. Er kann ganz oberflächlich antworten oder auf seinen wackeligen Zustand eingehen oder mir sein Herz ausschütten.
'Ach, naja, mir geht’s so einigermaßen. Wie es einem geht, wenn man gerade dem Tod von der Schippe gesprungen ist.'
Da ist es wieder, dieses ganz leichte Lächeln. Nett sagt er das, ganz natürlich....

* * *

'Weiter im Text: Frau Munz scheint sich ganz schön zusammenzureißen. Sie ist in Gesprächen ganz kontrolliert, so als könnte sie sonst jederzeit platzen. Der Tavor-Entzug macht ihr immer noch zu schaffen. Über ihre Kinder verliert sie kein Wort. Herr Boschem hat sich wirklich gut gefangen. Er zeigt sich stabil und hatte nachmittags auch Besuch von einem Bekannten. Da hat er sich vorher ziemlich in Schale geworfen. Nur die Sichtkontrolle nervt ihn langsam. Er beklagt sich nicht, aber man merkt es. Heute bin ich mit ihm zur Biographie-Arbeit verabredet. Eine Frage...'
Ich wende mich an den Psychologen Herr Thomas.
'Hast du mit Herrn Boschem schon geredet? Irgendwie kommt er ziemlich narzisstisch rüber...'
'Nee, habe ich noch nicht. Aber ich könnte mir gut vorstellen, dass es so etwas wird. Lassen wir uns überraschen.'
'Gut. Herr Tenragal hat gestern Nachmittag nichts Besonderes gezeigt. War ruhig und hat keine Fehlhandlungen gezeigt. Hat lange TV geguckt. Herr Hoffmann als Nächstes war gestern ziemlich geordnet, er hat sich sogar mit Nicole unterhalten. Über Topfpflanzen. Da ist er ein richtiger Experte und konnte sich ganz normal unterhalten. Heute früh dagegen ist er ganz durcheinander. Er hat mich erst mal mit Echolalie begrüßt. Bei der Körperpflege musste ich ihn unterstützen. Da war er ganz hilflos. Aber kooperativ, zum Glück. Wusch sich auf meine Anordnung hin wie ein Roboter. Läuft auch wie ein Roboter. Heute gefällt er mir wirklich gar nicht.'
Allgemeines betretenes Schweigen. Da wir nicht wissen, was der Patient hat, können wir auch nicht viel für ihn tun. Ich fahre fort:
'Frau Muhle...'
Da geht die Tür auf und Dr. Oetker und Dr. Brinkmann kommen mit wehenden Kitteln reingerauscht. 'Guten Morgen' nuschelt Dr. Brinkmann, '‘tschuldigung für die Verspätung.'
Noch während sich die beiden Ärzte setzen, sagt Dr. Oetker:
'Dann können wir ja anfangen mit der Übergabe.'
'Anfangen ist gut', kontere ich, 'wir haben schon angefangen. Also, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, bei Frau Muhle. Frau Muhle hat...'
'Können wir bitte von vorne anfangen?', sagt Dr. Brinkmann, 'Es ist ja wichtig, wir müssen auch wissen, was mit den ersten Patienten so los ist.'
Ich habe gerade das Gefühl, vom Pferd einen enormen Tritt verpasst zu bekommen. Ich muss kurz schlucken und mich dabei unbemerkt am Tisch festhalten. Ich gucke in die Runde und sehe eigentlich keine besonderen Gefühlsregungen bei den Anderen. Weder bei den Therapeuten oder bei den Psychologen. Oder sie verstellen sich sehr gut. Vielleicht bin ich etwas zu kritisch. Also fange ich von vorne an.
'Wie jetze, echt? Von vorne? Okay... Also, Frau Sanchez ist ja gestern gekommen und zeigt eine depressive Symptomatik. Sie wirkt heute früh recht gedrückt, hat auch länger geschlafen. Frau Müller ist in Mimik und Gestik weiterhin reduziert. Sie hatte Besuch und war im Garten. Frau Yilmaz macht uns ein bisschen Sorgen. Sie war schon wieder in der Mucki-Bude und wirkt auch sonst irgendwie ‚über dem Strich‘. Zeigte sich distanzgemindert im Spätdienst, hat Nicole geduzt und ist heute früh beim Walken auffällig zwischen den Patienten hin- und hergerannt. Frau Scholl geht es besser...'
'Ähm-hm, ,tschuldigung' unterbricht mich Dr. Brinkmann erneut, 'wir sind schon ziemlich spät dran. Können wir das eventuell ein bisschen raffen?'
Jetzt habe ich gleich das Gefühl, dass nicht ein Pferd, sondern dass ein Nilpferd mich tritt. Und zwar kräftig. Hallo, geht’s noch?? Erst zu spät kommen, dann sollen wir noch mal von vorne anfangen und dann geht es nicht schnell genug für die Herrn Doktor?? Ich glaube ja wohl, ich spinne. Auch hier halte ich mich ganz heftig am Tisch fest und gucke in die Runde. Ich empfinde dieses Verhalten als Affront. Ich bin doch keine CD, die man nach Belieben vor- und zurückspulen kann und in der Geschwindigkeit anpassen. Ich bin kurz vor dem Explodieren. In den Gesichtern der anderen kann ich gar nichts lesen. Ich fühle mich auch ziemlich alleine gelassen. Und so ganz alleine will ich aber keinen Aufstand proben. Also beschränke ich mich auf eine liebevolle Pampigkeit.
'Zu langsam, aha. Also etwas schneller: Frau Sanchez: stark depressiv; Frau Müller: stark gedrückt, hatte gestern Besuch; Frau Yilmaz: Mucki-Bude, etwas überdreht; Frau Scholl: gut, möchte Entlassung. Frau Koch: immer noch umtriebig, anstrengend, muss eingegrenzt werden, hat ihr Zimmer verwüstet. Ist das in etwa kurz genug?' Ich warte nicht auf eine Antwort, fahre fort: 'Frau Munz: weiterhin im Tavor-Entzug; reißt sich zusammen. Herr Boschem: besser. Eigentlich wollte ich darüber reden, ob wir die Sichtkontrolle nicht endlich beenden, die nervt ihn und erscheint uns auch längst nicht mehr notwendig. Aber es scheint ja keine Zeit dafür zu sein. Herr Tenragal: gut, keine Fehlhandlungen. Herr Hoffmann: gestern ging es ihm gut, heute wiederholt er mich und braucht Hilfe bei der Körperpflege. Frau Muhle...'
So fasse ich die Geschehnisse des gestrigen Nachmittags, der Nacht und des heutigen Morgens in kurze Zwei-, maximal Dreitwortsätze. Ich könnte platzen. Als ich fertig bin, stehe ich auf und gehe aus dem Raum. Dabei gucke ich mal lieber niemanden an. Ich könnte Dr. Brinkmann schütteln, aber auch die anderen, die irgendwie nichts dazu gesagt haben, könnte ich gerne mal beuteln. Ich muss mich schwer beherrschen, nicht mit der Tür zu knallen. Fühlt man sich so wütend, wenn man auf Tavor-Entzug ist? Das ist Wut pur! Und ich fühle mich alleine gelassen.