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Leseprobe für das Buch Steinmale, die trösten; Band 6
Steine Nr. 551 – 634, 636, 640, 643, 647, 649, 650, 650 A auf dem israelitischen Friedhof in Dessau
von Max-Friedrich Hahn:

Hagalim l’ nachama – Steinmale, die trösten

Vorwort
Gal. Dieses hebräische Wort heißt auf deutsch Steinhaufen, etwas besser ausgedrückt „Steinmal“. In der hebräischen Bibel kommt dieses Wort 14mal vor in unterschiedlicher Bedeutung.
Nur einmal an einer Stelle, 1. Mose (Genesis) 31, 42-50, viermal. Hier hat es eine positive, ja sogar juristische Bedeutung. Alle anderen Bibelstellen haben einen negativen Sinn. Da bedeutet „Steinhaufen“ Trümmer zerstörter Städte (z.B. Jesaja 25,2). Das Wort gal ist Bestandteil des hebräischen Titels dieser Schriftenreihe mit Artikel vorn und der Pluralendung.
In der Bibelstelle (Genesis 31, 36-54) finden wir jene Begebenheit, die zur Entstehung und Bedeutung eines Steinmales führte.
Es geht um Jakob und seinen Onkel Laban. Jakob war zu seinem Onkel Laban geflüchtet. Jakob konnte bei ihm bleiben. Er bekam zwei seiner Töchter zur Frau, musste aber für jede Frau 10 Jahre arbeiten. Die Arbeit war sehr umfangreich und der Lohn war nur gering oder fiel ganz aus. So floh Jakob wiederum. Laban holte ihn ein und machte ihm Vorwürfe. Jakob erwidert dies mit dem Aufzählen seiner Arbeit und all seiner Leistungen. Er beendet seine Worte, dass Gott, der auch der Gott der Väter ist, auf seiner Seite ist. Laban trumpfte noch auf: die Töchter seien seine Töchter und deren Kinder seine Kinder ... und alles, was Jakob sieht, gehört ihm, nämlich dem Laban; (Vers 43). Aber er kommt doch zu der Einsicht, dass man zu einer Lösung kommen muss. Er bietet Jakob einen Bund (Vertrag) an. Als Zeichen für den Vertrag wollen sie ein Steinmal errichten. Zunächst hebt Jakob einen Stein auf und richtet ihn auf zu einem Mahn-Mal. Dann helfen Labans Brüder, Steine zu sammeln, damit Laban und Jakob einen Steinhaufen errichten können. Laban nannte ihn Jegar-Sahadutha und Jakob nannte ihn Gilead.
Dieses Steinmal oder dieser Steinhaufen ist ein Zeichen der Versöhnung der Menschen untereinander und mit Gott. Das war sicher auch der Grund dafür, dass dieser Gedanke frommer Juden auf einigen Grabsteinen Platz gefunden hat.
Ähnlich ist wohl auch der Segenswunsch „Deine Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens bei dem Herrn unserm Gott“ (Samuel 25,29), der auf fast jedem Grabstein zu finden ist, zu verstehen.

Hier auf dem israelitischen Friedhof in Dessau, an der Straße Am Leipziger Tor, bietet sich eine Welt sichtbar entdeckter Grabmale. Aber nur wenige wissen, was darauf steht und an wen sie erinnern sollen. Wer macht sich schon die Mühe, die hebräische Schrift und Sprache zu erlernen und danach die Inschriften zu entziffern? Und wer steht bereit, die Inschriften zu erklären?
Steinmale, die trösten – hagalim l‘nachama –, reden auch heute noch zu uns. Sie sollten die Hinterbliebenen trösten, ebenso uns. Sie weisen auf die „andere Welt“ und sind ein Glaubenszeugnis für den Betrachter. Auch die Steinfragmente reden und die ohne (erkennbare) Schrift reden auch, wie es im Lateinischen heißt „qui tacent clamant“, „indem die schweigen, schreien sie“, nämlich über das Unrecht, das diesem Friedhof angetan wurde.