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Leseprobe für das Buch Die dritte Nacht von Wolfgang Slizyk:

Leseprobe

S.32-33



Noch hier, in der Erinnerung, dröhnte die Fragen ihm im Ohr, sind unauslöschlich, wie für alle Ewigkeit, in seine Seele gebannt. Aber seine Gedanken spulen sich - wie ein langer Faden von der Haspel - vom Heute ab, fliege aus der dunklen Gegenwart in die feurige Lohe des Damals zurück, durcheilen noch einmal die glutvoll Jahre des Wollens und er Kraft und bleiben doch hängen, eingeklemmt in den Augenblick, den sie eben zu verlassen wähnten. Nur scheinbar dreht die Erinnerung das Rad seiner Gedanken aus dem Jetzt. Achse - er spürte, nein, er weiß es plötzlich, Achse ist diese dritte Nacht hier vor der noch offenen Grabeshöhle, ist das Gespräch mit Saraj. Darum drückt er sich in die schmale Nische und legt das Ohr an die Öffnung, oben, wo der letzte Stein noch fehlt, als wollte er hineinhorchen in die Totenkammer.

Doch das Einzige, was er wahrnimmt, ist der kalte Hauch aus dem Loch, so dass er sich niederkauert. Die Arme um die Knie gelegt und mit dem Rücken gegen die Steinwand gelehnt, sitzen er und wartet. Um Wach zu bleiben , fängt er an zu summen, summt so vor sich hin, eine alte Melodie, und ist verwundet darüber, denn es ist ein Schifferlied, wie er es als Junge von den Treidlern gehört, wenn sie die Schiffe den Euphrat, den Breiten Fluss, stromaufwärts zogen. Wie oft war er mit ihnen gegangen, jenes Stück auf dam Dammweg, vom Hafen bis zum ‚Schwimmenden Turm’, wo der Zoll gezahlt und die Waren auf kleinere Boote umgeladen wurden. Sie sangen nur dies eine Lied, die Manner an den Seilen, immer dieselbe Worte, immer die gleiche eintönige Melodie. Beides fällt ihm wieder ein. Und so beginnt er zu singen:

'Starker Fuß und krummer Rücken

bezwingen wir Wellen und Wind.'

Er singt es einige Male, dieses kleine Lied. Doch dann, ohne dass es ihm bewusst wird, haben seine Lippen sich wieder geschlossen, und er summte nur noch, brummt vor sich hin. Den Kopf hat er auf die Arme gelegt, aber die Augen sind weiter auf. Hellwach ist er und hängt seine Gedanken zwischen die Töne dieser alten Weise. Tief in sich hinein brummte er Ton nach Ton, einen Gedanken um den anderen



Am Breiten Fluss steht er wieder , barfuß, klein, mit kurzgeschnittenem Stoppelkopf wie alle Jungen seines Alters, und allein. Er war viel allein, sonderte sich ab von den Brüdern und den Jungen aus der Nachbarschaft. Einen Grund dafür wusste er nicht.