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Leseprobe für das Buch Doppelkorn - Ein Tausch in Zeiten geschlossener Grenzen von Wolfgang Böllmann, Boellmann:

Aber so glitt unser Gespräch ab. Schade eigentlich. Es bekam etwas Drohendes. Im Augenblick hätte man das noch als Frotzeln bezeichnen können, aber natürlich war es eine kleine Teststrecke. Die konnte man sich besser aufheben, um nichts zu gefährden. Erst einmal versuchte mein Wanderfreund den Faden dadurch zu retten, dass er auf ein anderes Gleis umpolte. 'Aus welcher Ecke unseres sächsischen Königreiches stammst du eigentlich?' Das war eine leicht witzig formulierte direkte Frage. Sie ließ mir aber insofern noch Deckung zu, als Geburtsort und Arbeitsort bei mir nicht identisch waren. 'Erzgebirge', bekannte ich wahrheitsgemäß, was den ersten Teil der Überlegung betraf. Bevor er weiterfragen konnte schob ich dazwischen: 'Und du?' Ganz echt war die Frage von mir nicht, denn ich hörte ihm deutlich an, dass er aus Leipzig oder mindestens aus der näheren Umgebung dieser Stadt kommen musste, wo ich studiert hatte. So war es auch. 'Hört man', sagte ich, als er meine Vermutung bestätigt hatte. 'Bei dir nicht', gab er zu. Aber das war für meine Anonymität eigentlich schon gefährlich. 'Findest du?', fragte ich und nahm mir vor, den Erzgebirger gelegentlich etwas herausschauen zu lassen.
Um abzulenken und weiterzutesten, versuchte ich diesmal, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. 'Die Berge haben die Tschechen ja wenigstens noch behalten', knüpfte ich an das Thema von vorhin an. 'Wie meinst du denn das?', fragte mein Begleiter, wie mir schien ironisch. 'Mir fiel nur die letzte Wachablösung ein', meinte ich. 'Und die ging deshalb gnädig ab, weil sie die Berge behalten durften?', fragte er und fuhr fort: 'Bist du so naiv, oder tust du nur so? Aber damit du es weißt, wie ich darüber denke, will ich dir sagen, dass ich das ganze Theater der Russen für eine Sauerei halte. Das sage ich dir mit Name, Straße und Hausnummer. Da du die Stadt ohnehin schon weißt: Johannes Korn, Leipzig, Friedrich-Ebert-Straße Nummer 25. Wenn du etwas zum Mitschreiben brauchst, kannst du mir es ruhig sagen.'
Wahrscheinlich sollte das sein letztes Wort an mich sein. Er funkelte mich böse an, dass ich versucht war, einen Schritt Abstand zu halten, um nicht einen Schlag abzubekommen.
Da es mein Beruf ist, mir etwas einfallen zu lassen, war ich nicht so verlegen, wie es scheint. Aber Offenheit, auch wenn sie vom Zorn provoziert war, sollte nicht enttäuscht werden. So antwortete ich, indem ich meine Pudelmütze zog und mich verneigte: 'Freut mich, Johannes Kern, Sonnenstein Nummer 12.' Er sah mich unschlüssig an. Ich empfand die Enthüllung als ungewollte Komik und hätte mich ausschütten können vor plötzlicher Heiterkeit. Korn hatte offenbar mit seinem Namen schon zu viele schlechte Erfahrungen gemacht, so dass er nur gezwungen lächeln konnte. Er gab das Gezwungene erst auf, als ich mich von meinem Anfall erholt hatte und ihm versuchte, die Ernsthaftigkeit meiner Angaben zu belegen. 'Willst du meinen Ausweis sehen?', fragte ich. Da musste auch er lachen, maßvoller als ich, aber immerhin echt.
Als wir uns beruhigt hatten, konnten wir gar nicht genug darüber staunen, wie komisch die Ähnlichkeit unserer Namen und die Standpunkte unserer politischen Ansichten waren.
Auf diese amüsante Weise hatten wir unversehens den Weg erreicht, der uns nach Stary Smokovec zu bringen versprach. Es war gerade noch rechtzeitig vor der Abenddämmerung. So ließen wir auch keine Zeit verstreichen, machten uns schnurstracks zum Bahnhof auf und nahmen den ersten Zug in Richtung Tatranska Lomnica. Wie sich herausstellte, hatte sich Johannes Korn dort in einem zweitklassigen Hotel einquartiert, um gleich in der Nähe der Berge zu sein. Bevor ich in Stara Lesna den Zug verließ, hatten wir für den nächsten Tag eine gemeinsame Tour geplant. Wir verabredeten, uns bereits um vier Uhr an der Straße unweit meines Haltepunktes zu treffen. Er wollte mich mit seinem Auto von dort nach Strebske Pleso chauffieren, wo wir einen guten Start für eine Besteigung des Rysy hätten. Gern stimmte ich dem Vorhaben zu, den höchsten Gipfel zu bezwingen. Regensachen, warme Kleidung und die unentbehrlichen Lebensmittel sollte jeder dabei haben, vereinbarten wir noch. Als der Zug schon wieder anfuhr rief ich ihm noch zu, er könne mich auch vom Campingplatz abholen, falls ich es verschlafen sollte. Er nickte verstehend, dann war der Zug außer Reichweite.
Wäre es nicht schlauer, die wenigen Stunden gleich am Haltepunkt zu warten? Die leeren Bänke verführten mich zu solchen Gedanken, aber das Bedürfnis, mich unter einer Decke auszustrecken behielt doch die Oberhand. So sah ich kurz dem Zug nach und trollte mich dann meinem Nachtquartier entgegen, müde war ich ausreichend. Als ich bei Karel vorüberkam, sagte ich nur, dass ich müde sei und morgen früh zeitig aufbrechen wollte. Er tippte mit akzeptierender Geste an seinen Hut und ließ mich ohne das abendliche Palaver ziehen.
Nun galt es, noch den Rest des Tageslichtes auszunutzen, um die nötige Reinigung durchzuführen und meine Sachen für den nächsten Tag zurechtzulegen. Als ich den Trainingsanzug übergezogen hatte und mich im Schlafsack ausstreckte, war es dunkle Nacht. Die Unruhe auf dem Platz störte mich nicht. Ich hatte das Gefühl, hier zu Hause zu sein. Es war ein vertrautes Gefühl, während das Wort ‚Zuhause’ mir immer einen Schauer über den Rücken jagte, auch nach diesen Tagen noch. Ich machte mir die tatsächliche lokale Entfernung klar und schlief beruhigt ein.
Der folgende Tag verlief wie vorausgeplant, jedenfalls bis etwa zur Mitte.
Am Morgen kam mir Korn schon entgegen. Er wendete in einer Schneise und ließ mich in seinen tabakfarbenen Wartburg einsteigen. Ich lehnte mich genießerisch in die Polster. In rascher Fahrt ging es am Gebirgspanorama entlang. Wir redeten kaum. Der Tag war für Gespräche noch zu jung. Wir fuhren nicht direkt bis Strebske Pleso, sondern bogen kurz vorher in Richtung der Berge ab. Dann ging es so weit nach Norden, wie die Straße das zuließ. Erst als sie endete, waren wir gezwungen, den Wagen abzustellen, beziehungsweise übergaben ihn einem geschäftstüchtigen Parkwächter, der hier übernachtet zu haben schien. Dann nahmen wir unsere Rucksäcke auf und stiefelten los.
Der Tag war ein wenig verhangen.
Aber so früh sind die Wetterwürfel noch nicht gefallen. Wir waren optimistisch und unternehmungslustig zugleich. Zunächst wollten wir uns beeilen, solange Kräfte und Temperaturen noch frisch waren. Bald hatten wir den Popradsee erreicht und hinter uns gelassen, um nun die ungezählten Serpentinen zum Rysy hinaufzuklettern. Es war eine Besteigung ohne Besonderheiten. Wir schritten rüstig aus, pausierten kaum und kamen gut voran. Weit vor dem Mittag hatten wir den alles überragenden Gipfel erreicht. Zuerst waren wir ein wenig enttäuscht, weil gerade auf den letzten Metern eine dicke Wolkenwand herangezogen kam und Platz wie Aussicht einhüllte. Dazu pfiff ein frischer Wind, und wir mussten unsere warmen Jacken und Mützen aus dem Rucksack tragen. Mit unserer Leistung waren wir jedoch zufrieden.