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Der Leuchtturm weiter draußen verschwindet halb im Nebel, meine Kapuze wird vom Wind hartnäckig immer wieder zurückgeschlagen. Die wenigen Chinesen, die vom Pier zur Hafenpromenade zurückkehren, haben ihre Regenjacken bis unter das Kinn zugeknöpft. Ein letztes Mal lasse ich den Blick über das Wasser schweifen, dann ziehe ich den Rucksack enger und wende mich zum Gehen. Das nächste Mal, dass ich das Meer sehen werde, wird in Belgien sein, am Atlantik, 12.000 Kilometer von hier entfernt. Dahin reise ich, so habe ich es mir vorgenommen, auf dem Landweg. Manchmal mit Bussen, mit Fähren, und mit Pferden, hauptsächlich aber mit dem Zug. Die Strecke wird mich quer über den eurasischen Kontinent führen, von Peking durch die Mongolei nach Russland, hinauf zum Baikalsee, durch die Weiten Sibiriens nach Moskau und weiter durch Osteuropa bis an den Atlantik. Der Großteil der Reise führt dabei naturgemäß durch Russland, umfasst doch Sibirien allein schon rund zehn Prozent der gesamten Landmasse der Erde. Diese schiere Größe macht sicherlich bereits einen Teil der Faszination dieses außergewöhnlichen Landes aus: Einmal mit dem Zug diese endlosen Weiten durchfahren, diese Unbegrenztheit und Freiheit erleben. Reiseerzählungen über Sibirien und Eurasien sind zahlreich, und gerade die Transsibirische Eisenbahn hat seit ihrem Bau Ende des 19. Jahrhunderts viele Abenteurer und Russlandreisende angelockt, die Erzählungen, Gedichte und Geschichten über diese Fahrt auf der längsten Bahnstrecke der Welt verfasst haben. Keineswegs erhebt dieser Bericht daher den Anspruch, eine umfassende Abhandlung über die Transsibirische Eisenbahn oder die mit ihr bereisten Länder sein zu wollen. Er ist vielmehr eine Momentaufnahme, die persönliche Eindrücke mit geschichtlichen und politischen Hintergründen und mit praktischen Reisehinweisen verbindet. Eine Fahrt mit der 'Transsibirischen' ist ein Eintauchen in einen Mythos der Eisenbahngeschichte auf fast den gleichen Strecken wie vor hundert Jahren. Russland und seine legendäre Zugstrecke schlägt den Reisenden in seinen Bann und eröffnet Perspektiven, Eindrücke und Begegnungen, die das Flugzeug komplett ausblendet. Was für so manchen Ausländer ein Traum ist, bleibt für Russen oft unverständlich. 'Warum?', war oft die verständnislose Reaktion, wenn ich russischen Bekannten von meinem Vorhaben berichtet habe. Vielleicht braucht man die Außenwahrnehmung, um sich in den Bann der Transsib schlagen zu lassen. Russland alleine ist fast doppelt so groß wie alle europäischen Länder und Gebiete zusammen. Wie verändern sich Raumgefühl und Mentalitäten auf einer Reise vom äußersten östlichen bis zum äußersten westlichen Rand Eurasiens? Was hat es mit der vielbeschworenen Magie der Transsib wirklich auf sich? Zu diesen Fragen gesellte sich eine eiserne Entschlossenheit, die mehr als 9.000 Kilometer von Peking bis Moskau mit allen Sinnen selbst wahrnehmen zu wollen. Zu viel hatte ich schon gehört, gesehen, gelesen. Nun wollte ich endlich selber den Rucksack packen. Ein längerer Pekingaufenthalt im Rahmen meiner Promotionsforschung gab den Ausschlag, das 'Projekt Transsib' endlich in die Tat umzusetzen. Es passte in die Planung, dass mein Schulfreund Michael genau zu dieser Zeit sein Architekturstudium beendet hatte und vor dem Berufsantritt nach einem Reisevorhaben suchte, das Abenteuer, Ausgleich und Selbstfindung versprach: Der Russlandruf war perfekt. Statt der klassischen Strecke Moskau-Peking traten wir nun im Sommer 2014 die Fahrt von China aus in Richtung Europa an. Mit der Transsib westwärts durch neun Länder, zwanzig Städte, sieben Zeitzonen und zwei Kontinente. Kapitel 1 In China China ist ein Grenzerlebnis. Zwei Monate habe ich in Peking gelebt und geforscht. Was in der Wissenschaft 'Feldforschung' heißt, meint oft nicht nur eine Entdeckungsreise zu fremden Kulturkreisen, Sprachen, und politischen Systemen, sondern auch die Konfrontation mit eigenen Vorurteilen, sprachlichen Barrieren, und nicht selten körperlichen Limits. Nirgendwo ist das so zutreffend wie in China. Sich vorab einige Basissätze Chinesisch anzueignen, ist unerlässlich für einen Aufenthalt in einem Land, in dem Englisch selbst in der Hauptstadt Peking kaum verstanden und noch viel seltener gesprochen wird. Shanghai ist da spürbar internationaler, fällt aber auch sprachlich weit hinter dem weltoffenen Hong Kong zurück. Glücklicherweise wohne ich im Studentenwohnheim der China Foreign Affairs University und finde schnell Anschluss bei internationalen Studenten, die hier entweder schon seit einigen Monaten ein Auslandssemester verbringen, oder gleich zum Vollzeitstudium hier sind und daher die Sprache beherrschen oder zumindest lernen. Dank ihrer Hilfe meistere ich den obligatorischen SIM-Kartenkauf für mein chinesisches Handy, kann bald ohne Handzeichensprache Metrotickets kaufen, und lerne, die in China einfachen wie beliebten gebratenen Nudeln mit Ei und Tomate zu bestellen (tschö-gong shua tschau jidan-miäng). Da ich das bald verständlich genug ausspreche, und die Eiernudel im Vergleich zu vielem Anderem für den europäischen Magen relativ sicher ist, werde ich in diesen zwei Monaten viele Nudeln mit Ei und Tomate essen. |