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Timo rannte seinem Herrn bellend voraus und sprang gegen das kräftige Eichenholz an, das als Riegel den Eingang sicherte. Draußen stand eine Gruppe erschöpfter Menschen, Männer und Frauen mit ihren Kindern. Das jüngste wurde von seiner Mutter in einem Tuch vor der Brust getragen. Noch bevor einer der Männer seinen Wunsch vortragen konnte, herrschte der Beschließer sie an: „Was treibt euch in der Nacht hierher? Könnt ihr euer Anliegen nicht bei Tageslicht vortragen?“ Doch dann bemerkte er, dass keine Bewohner aus der Nachbarschaft vor ihm standen, sondern Flüchtlinge in zerrissener Kleidung und abgewetzten Schuhen. Ein magerer Esel trug die Habseligkeiten in zwei Wäschekörben, die zu beiden Seiten des Schulterkreuzes befestigt waren. „Woher kommt ihr?“, fragte der Beschließer halbwegs versöhnt. „Ihr seid nicht aus unseren Dörfern, oder?“ „Nein, einige kommen aus Böhmen. Diese Leute dort stammen aus Mähren.“ Der Beschließer wusste, dass es jenseits der Grenzen zu konfessionellen Verfolgungen gekommen war. Die protestantischen Gemeinden im Reich der Habsburger litten unter der Gegenreformation, die die alten religiösen Verhältnisse wieder herstellen wollte. Wer sich nicht fügte, musste mit Repressalien rechnen und notfalls das Land verlassen. „Kommt herein“, sagte der Beschließer und trat zur Seite. „Ich darf euch dem Grafen um diese Zeit nicht melden, doch bis morgen kann ich euch in der Scheune neben dem Brunnenhaus unterbringen. Dann wird der Herr entscheiden, was mit euch geschehen soll. Die Küche ist verwaist, der Herd kalt. Ich kann euch um diese Zeit nichts Warmes anbieten. Ein paar Brote und ein Schinkenstück werde ich euch herausreichen. Geht also in die Scheune. Das Heu ist warm, ihr werdet nicht frieren.“ Die Menschen dankten es ihm, während der Beschließer das Scheunentor öffnete und die Gruppe einließ. Die Geräusche im Hof waren bis in die Herrschaftsräume des Gutes vorgedrungen. Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf und Pottendorf hatte, wie jeden Abend, in der Bibel gelesen und sich ein paar Notizen zu einem neuen Kirchenlied gemacht, von denen er bereits über hundert verfasst hatte, als er auf die Unruhe im Gutshof aufmerksam wurde… Der wachsende Flüchtlingsstrom nach Herrnhut behagte dem Kaiser nicht, und so forderte Karl VI. 1731 in einer eigenhändig unterzeichneten Beschwerde die kursächsische Regierung auf, die Siedler aus Herrnhut auszuweisen und den Grafen wegen „Unordnung und Religionsstörungen“ dazu. Zinzendorf nutzte die Verbannung zu mehreren Reisen in viele nahe und weit entfernte Länder, denn ... „jetzt“ so erkannte er, „müssen wir die Pilger-Gemeine sammeln, und der Welt den Heiland verkündigen“. Erdmuthe verwaltete das Vermögen ihres Mannes, sorgte für Haus und Gesinde, leitete die Brüder- und Schwesterngemeinde, pflegte die Armen, bewirtete die nach Herrnhut kommenden Pilgergruppen und fand noch die Zeit, die neu entstandenen oder gefährdeten Gemeinden durch Reisen nach Berlin, Ebersdorf und Marienborn zu beraten. Auf größeren Reisen kam sie sogar nach Russland, Dänemark, Holland und England, das sie allein sechsmal aufsuchte. Eine Regierungskommission Sachsens entlastete Zinzendorf von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen und bestätigte, dass die Herrnhuter keine Separatisten, sondern Verwandte der Augsburgischen Konfession waren. Ein Vorgriff auf ihr weiteres Leben: Dem Vorsatz, dass er eine Frau suche, die nur Jesus Christus liebe, konnte Zinzendorf allerdings nicht treu bleiben: Erdmuthe gebar zwölf Kinder, von denen die meisten den Eltern durch einen frühen Tod entrissen wurden. Ein so geformtes und strapaziöses Leben konnte nicht ohne Folgen für ihre Gesundheit bleiben. Dreißig Jahre hielt sie alle Anstrengungen aus, dann, nach dem Tod ihres einzigen noch lebenden Sohnes, brach ihr Lebenswille und sie starb. 1.800 Personen sollen Erdmuthes Sarg begleitet haben, getragen von vierundzwanzig Geistlichen. Einige von Erdmuthe geschaffene Kirchenlieder haben die Zeit überdauert… Im Jahr 1730 kam es zu einem folgenschweren Ereignis. „Heute erwartet Schwarzenau einen hohen Gast“, überraschte der Marquis seine Frau. „So? Wer verirrt sich denn von den erlauchten Herrschaften in dieses Nest?“ „Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf kommt von Berleburg herüber.“ Der Gleichmut in Clara von Callenbergs Gesicht ging in Erstaunen über. „Sucht er nach Landbesitz, um eine neue Siedlung anzulegen?“ „Wohl kaum. Er sprich im gräflichen Herrenhaus. Hören wir ihn uns an.“ Der Vortrag begeisterte beide. Und auch die anschließende Begegnung mit dem Begründer der Herrnhuter Brüdergemeine ließ ihre Herzen höher schlagen. „Ja, ich gebe manchen geflüchteten Glaubensbrüdern und -schwestern ein neues Zuhause ‚unter des Herrn Hut‘. Wenn Sie sich mit Ihrem Gedankengut meinen Zielen verbunden fühlen, lade ich Sie gern ein – kommen Sie zu mir. An Aufgaben für Sie wird es nicht fehlen.“ Und jetzt zitierte Zinzendorf aus seinen Schriften: „Mit meinen mährischen Exulanten möchte ich in beständiger Liebe mit allen Brüdern und Kindern Gottes in allen Religionen stehen, kein Beurteilen, Zanken oder etwas Ungebührliches gegen Andersgesinnte vornehmen, wohl aber sich selbst und die evangelische Lauterkeit, Einfalt und Gnade unter sich zu wahren suchen.“… Zurück zum Begründer der „Herrnhuter Brüdergemeine“. 1734 trat Anna Nitschmann ins Leben des Reichsgrafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Sie wurde am 24. November 1715 in Kunewalde in Mähren geboren, stammte aus einfachen Verhältnissen und besaß auch keine nennenswerte Schulbildung. Ein religiöses Elternhaus prägte ihre Jugend. Wie andere pietistisch geneigte Gruppen in Europa hielten auch die verfolgten „Unitas Fratrum“ so genannte „Konventikel“ illegal in ihren Häusern ab. Laien predigten, sangen und beteten. Frauen und Kinder erfreuten sich einer Mitwirkungsfreiheit, die weit über die Möglichkeiten in den offiziellen Kirchen dieser Zeit hinausging. Anna Nitschmann berichtet in ihrem späteren „Lebenslauf“, dass sie als Kind in diesen Versammlungen das Gebet sprechen durfte. |